Wilhelm Furtwängler und Prof. Streeck

Eine kurze Studie über Kommunikation in vermintem Gelände

Rede von Prof. Streeck im Dom zu Münster am 19.08.2020
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Nachdem ich in einer Rundmail auf die, wie ich sagte, „hoffnungsvolle“ Rede von Prof. Streeck im Münsteraner Dom hingewiesen und sie verlinkt hatte, schrieb mir eine mir nahestehende, streng Corona-gläubige Person nennen wir sie hier einmal Katharina: „Ich kann gar nicht verstehen, dass du mir diese Ausführungen von Herrn Streeck geschickt hast. Denn diese müssen mich nicht überzeugen, sondern sprechen mir aus dem Herzen. Er schildert genau die Ansichten, Einsichten und Einschätzungen, die ich auch vertrete, und zwar nicht erst seit heute, sondern von Anfang an.“ Nanu! Was ich als dringenden Appell für ein Umsteuern in der Coronafrage verstanden hatte, empfindet sie als Bestätigung ihrer regierungstreuen Meinung. Wie kann das sein?

 

Nun, Katharina versteht nicht zwischen den Zeilen zu lesen. Ich will mal eine Geschichte aus einer anderen Zeit unseres Landes erzählen. Da schrieb 1933 der berühmte Dirigent Wilhelm Furtwängler einen Brief an den Reichsminister Goebbels. Er wollte sich für drei jüdische Künstler einsetzen: Max Reinhardt, Otto Klemperer und Bruno Walter. Wie tat er das? Wir lesen unter anderem:

 

„Sehr geehrter Herr Reichsminister!

(Ich) erlaube … mir, Ihre Aufmerksamkeit auf die Vorkommnisse zu lenken, die meiner Meinung nach nicht unbedingt mit der Wiederherstellung unserer nationalen Würde, die wir alle so dankbar und freudig begrüßen, verbunden sein müssen. … Wenn sich der Kampf gegen das Judentum in der Hauptsache gegen jene Künstler richtet, die – selber wurzellos und destruktiv – durch Kitsch, trockenes Virtuosentum und dergleichen zu wirken suchen, so ist das nur in Ordnung. Der Kampf gegen sie und den sie verkörpernden Geist, der übrigens auch germanische Vertreter besitzt, kann nicht nachdrücklich und konsequent genug geführt werden. … Unser Kampf gelte dem wurzellosen, zersetzenden, verflachend destruktiven Geiste, nicht aber dem wirklichen Künstler, der in seiner Art immer, wie man seine Kunst auch einschätzen möge, ein gestaltender ist und als solcher aufbauend wirkt. In diesem Sinne appelliere ich an Sie im Namen der deutschen Kunst, damit nicht Dinge geschehen, die vielleicht nicht mehr gut zu machen sind. …“

In vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

gez.: Wilhelm Furtwängler“

 

Man kann sagen: Oje, eine aufrechte Haltung sieht anders aus. Da faselt Furtwängler zuerst einmal von der „Wiederherstellung unserer nationalen Würde, die wir alle so dankbar und freudig begrüßen“, erklärt dann den „Kampf gegen das Judentum“ für „in Ordnung“, sofern er sich „gegen jene Künstler richtet, die – selber wurzellos und destruktiv – durch Kitsch, trockenes Virtuosentum und dergleichen zu wirken suchen“. Und für die drei Juden setzt er sich nur ein, weil sie als Künstler unersetzlich sind.

 

In Wirklichkeit ist der Brief ein Versuch, durch geschickte Diplomatie ans Ziel zu kommen. Furtwängler muss irgendwie erreichen, dass der Minister ihm überhaupt zuhört, und tut deshalb an mehreren Stellen so, als wäre er auf Goebbels Seite. Beispiel: „Der Kampf … kann nicht nachdrücklich und konsequent genug geführt werden.“ Als scheinbare Nebensache wird dann die Bemerkung fallengelassen, dass der Geist, gegen den sich der Kampf richte, „übrigens auch germanische Vertreter besitzt“ – was aber nichts weniger besagt, als dass es überhaupt keinen Unterschied zwischen Juden und Deutschen gibt! Hat der Minister die Finte bemerkt? Sicherlich! Hat er es geschluckt? Sicher nicht, aber er kann Furtwängler keinen offenen Affront vorwerfen und muss sich mindestens zum Schein mit dem Thema beschäftigen. – Auch der letzte Absatz klingt, als sei Furtwängler sich mit dem Nazi einig: Jawoll, Wilhelm und Joseph kämpfen einen gemeinsamen Kampf! Der aber „gelte dem wurzellosen, zersetzenden, verflachend destruktiven Geiste, nicht aber dem wirklichen Künstler, der in seiner Art immer … ein gestaltender ist und als solcher aufbauend wirkt.“ Das klingt sehr staatstragend, aber in Wirklichkeit steht hier doch schwarz auf weiß: der „wirkliche Künstler“ wirkt „immer“ – also gleichgültig welcher Rasse er angehört! – gestaltend und aufbauend.

 

In manchen Zeiten kann man sich offenbar nur schützen, wenn man das Entscheidende „zwischen den Zeilen versteckt“. Furtwänglers Brief und Streecks Rede im Münsteraner Dom haben deshalb vieles gemeinsam. Pflichtschuldig muss ich hier natürlich einfügen, dass es mir nicht darum geht, die Naziherrschaft und unsere jetzige Situation gleichzusetzen. Vergleichen darf man aber die Kommunikationstechnik, mit der jemand sich in einem heiklen Umfeld verständlich zu machen versucht. Wie Furtwängler weiß auch Streeck, dass er sich mit frontalem Angriff in Gefahr brächte, sicher nicht an Leib und Leben, aber durchaus in Hinblick auf seine berufliche Stellung und Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler. Wolfgang Wodarg, Sucharit Bhakdi und andere können ein Lied davon singen.

 

Darüber hinaus wird Streeck sich – wie seinerzeit Furtwängler – darüber bewusst sein, dass er als renommierter, in der Öffentlichkeit geachteter Fachmann mehr bewirkt als als politischer Aktivist. Furtwängler hat immer wieder betont, dass er als deutscher Musiker nur in Deutschland arbeiten konnte und das deutsche Volk ihn auch gebraucht habe, und wer einmal Willy Brandts Lebenserinnerungen gelesen hat, weiß, dass das stimmt: Brandt erzählt, dass Furtwänglers Konzerte in den letzten Kriegstagen für die Menschen – und zwar für alle, nicht nur für besondere Kenner und Liebhaber! – lebenserhaltend waren.

 

Wie macht nun aber Streeck das in seiner Rede? Ähnlich wie Furtwängler bestätigt er die Zuhörer zunächst mal zum Schein in ihrer vorgefassten Auffassung. Beispiel:

 

„Wir hören und sehen jeden Tag apokalyptische Szenarien. Ein normales Leben mit dem Virus scheint fast unmöglich.“

 

Das empfindet Katharina genauso, aber hat sie auch genau zugehört? Sagt Streeck, dass wir apokalyptische Szenarien erleben, dass sie real existieren? Nein, er sagt, dass wir sie jeden Tag hören und sehen“, und das ist etwas völlig anderes, denn wo hören und sehen wir sie denn? Im Radio, im Fernsehen, in den Tageszeitungen! Berichten die seriös? Streeck scheint da skeptisch zu sein, denn er redet wenig später von einer „Infodemie“. Und dass ein normales Leben mit dem Virus unmöglich ist, sagt er auch nicht, sondern dass es so „scheint“. Das ist ein erheblicher Unterschied.

 

„Zur Zeit steigen die Infektionszahlen an. Es droht eine sogenannte ,Zweite Welle'. Wenn wir testen, dann finden wir das Virus, dann wissen wir, wer infiziert ist, und wir können mittels App und Befragungen die Kontakte des Infizierten ausfindig machen, diese wieder testen, und so die Infektionsketten erkennen und unterbinden. … Wenn wir dann noch zusammenarbeiten, … auf Abstand gehen, Maske tragen, Händehygiene und gute Husten- und Nies-Etikette einhalten, vielleicht noch nicht in Auslandsrisikogebiete fahren, und nicht mehr mit Familie und Freunden treffen, dann sollte es möglich sein, dass es bei sehr wenigen Infektionen bleibt.“

 

„Na also“, denkt sich Katharina, „das deckt sich genau damit, was die Regierung sagt und ich für richtig halte!“ Dabei referiert Streeck hier nur, wie weiland Furtwängler, die herrschende Linie; dort war's der Kampf gegen das Judentum, hier gegen das Virus. Seine eigene Denkweise verrät Streeck erst – das aber fulminant – in den beiden nächsten, pointiert formulierten Sätzen:

 

„Ein Virus, ein Wert, ein Ziel. Ist das virologische Hoffnung?“

 

Hören Sie dem ersten Satz noch einmal aufmerksam nach: „Ein Virus, ein Wert, ein Ziel.“ Als ich diese Formulierung hörte, traf mich fast der Schlag, sie hat mich sofort erinnert an eine gewisse Parole aus der Zeit, als Furtwängler seinen Brief schrieb: „Ein … , ein … , ein …“! Ob Streeck – ein Mann, der jedes Wort ein paarmal umdreht, bevor er es ausspricht – diese Assoziation bewusst verwendet hat oder nicht, weiß ich natürlich nicht. Bezeichnend ist es allemal, dass ihm das so eingefallen ist.

 

So klingt das also, wenn jemand ein Publikum gleichsam aus einer sicheren Deckung heraus ansprechen muss: Zuerst bestätigt er die Erwartungen und gewinnt Vertrauen, um im passenden Moment eine unbequeme Wahrheit aufzuzeigen. Wer in diesem entscheidenden Moment nicht zuhört, hat, wie Katharina, das Wesentliche verpasst.

 

Ich muss betonen, dass Hoffnung nicht für alle Virologen das Gleiche bedeutet. Es ist den meisten wohl nicht entgangen, dass wir sehr unterschiedlich hoffen und denken. Wir haben zum Teil andere Ansichten und zum Teil konträre Meinungen, so wie es in der Wissenschaft aber üblich ist. Wissenschaft lebt vom Dissens, und das ist gut so.“

 

Streeck kann mit den anderen Virologen nur diejenigen meinen, die in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen, also z.B. Drosten, Kekulé, Mölling, Bhakdi, Wodarg, Hockertz, Joannidis, und natürlich sich selbst. Und während Drosten über die FAZ verlauten lässt, dass „scheinbare Fachleute“, „auch Ärzte und Professoren“ angeblich „Falschinformationen“ und „Unsinn“ verbreiten, ist die Meinungsverschiedenheit für Streeck geradezu das Lebenselixier der Wissenschaft. Dass er den „vorurteilsfreien Dialog unter uns Wissenschaftlern“ gegen Ende der Rede noch einmal ausdrücklich einfordert, zeigt, wie wichtig es ihm ist, dass die eindimensionale, von ein oder zwei Wissenschaftlern vorgegebene Linie verlassen wird.

 

Im letzten Teil seiner Rede überraschte Streeck auch mich – nach seinen vielen kritischen Bemerkungen:

 

„Die Reaktion der Bundesregierung auf die Pandemie war in meinen Augen gut und folgerichtig.“

 

Wie kann er das jetzt noch sagen?“ fragte ich mich. Ich besann mich aber darauf, was ich zu antworten pflege, wenn ich beispielsweise nach meiner Meinung zu einem berühmten, aber von mir nicht besonders geschätzten Pianistenkollegen gefragt werde. Wenn ich meine Ablehnung geradeheraus zugebe, dann hält man mich für neidisch oder sonstwas, also sage ich lieber: „Es ist ja allgemein bekannt, dass das ein hervorragender Pianist ist, und seine Fähigkeiten stehen selbstverständlich außer Frage“. Aber wenn ich so rede, dann kann man sicher sein, dass noch ein „Aber“ folgt (denn wenn ich wirklich begeistert bin, rede ich anders). Und so folgte auch bei Streeck nach dem Lob der Regierung die relativierende Bemerkung auf dem Fuße:

 

„Es gab eine Gefahr, die gebändigt werden musste; aus einer Gefahr ist nun aber ein Risiko geworden, das sich einordnen lässt.“

 

Ich übersetze diese Äußerungen mal in eine weniger rücksichtsvolle Sprache: „ Als Gefahr im Verzug war, mag das Handeln der Regierung in jenem Moment wohl angemessen gewesen sein, jetzt aber längst nicht mehr.“ Warum sonst sollte Streeck anschließend immerhin noch vier Mal äußerst nachdrücklich von Fehlern und Notwendigkeit der Selbstkritik sprechen?

 

„Dabei ist es in Ordnung, Fehler zu machen. Dabei ist es auch in Ordnung, dass eine Bundesregierung Fehler macht oder eine Landesregierung Fehler macht.“ – „... braucht es die Befähigung, ja die Erlaubnis zur Selbstkritik.“ – Wir müssen erlauben, Fehler zu machen, wir müssen erlauben, das Politiker und Wissenschaftler auch Selbstkritik äußern dürfen.“ – „Aus Fehlern müssen wir lernen, aus Fehlern muss die Politik lernen.“

 

Die „Erlaubnis“ zu fordern, dass Selbstkritik geübt werden darf, lässt aufhorchen. Denn wer muss hier wem eigentlich etwas erlauben oder kann es verbieten? Offenbar vermutet Streeck, dass die Politiker aus der Nummer nicht mehr herauskommen, weil sie den Unmut des Volkes fürchten, und ruft deshalb das Volk zur Nachsicht auf. Dies ist ein weiterer, allerdings sehr lauter Zwischenton, den Katharina wohl überhört hat …

 

Wer bis hierher gelesen hat, kann sich bei nochmaligem aufmerksamem Anhören der Rede quasi eines Filters bedienen, der die eigentlichen Aussagen von den vorgeschobenen, aus taktischen Gründen „gesetzten“ Phrasen scheidet. Ich glaube, dass Streeck ganz dicke Bretter bohren will. Dass er im Münsteraner Dom, also in der Mitte der Gesellschaft, einige verklausuliert formulierte, aber Sprengstoff enthaltende Mitteilungen machen und dafür großen Beifall erhalten konnte, zeigt, das er mit seiner Art auf dem richtigen Weg ist. Er überfordert die Menschen nicht und läuft dabei gelegentlich (wie man an Katharina sieht) Gefahr, von dem einen oder anderen nicht verstanden zu werden. Diese Gefahr kann man eingehen. Andere haben einen anderen Weg gewählt, so wie Wodarg oder Bhakdi. Beide Methoden sind legitim, um zum Ziel zu kommen.

 

Unter dem Video von Streecks Rede habe ich einen sehr guten Leserkommentar gefunden, den ich hier zitieren möchte. Das ist die Essenz der Rede, in wenigen einfachen Sätzen zusammengefasst. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen!

 

Zusammenfassung:

  • Angst ist der schlechteste und gefährlicher Ratgeber, vor allem wenn er politisiert wird. (Gruß an die Regierung).
  • Angst mit Fakten begegnen (Gruß an alle aufklärenden Ärzte).
  • Das Virus ist tödlich für WENIGE wie viele andere Viren auch.
  • Unser Immunsystem ist schlau. Jede 5. Infektion verläuft ohne Symptome.
  • Mit 0,37% Sterblichkeit liegt C. etwas über der Grippe, aber 10fach NIEDRIGER WIE UNS TÄGLICH SUGGERIERT WIRD.
  • Warnungen sind disfunktional, übermäßige Angst ist hier fehl am Platz.
  • Aus Gefahr ist ein Risiko geworden, das sich einordnen lässt. Der größte Fehler der Gesellschaft ist, kein Risiko einzugehen und uns von der Angst leiten zu lassen, die unseren Mut untergräbt.
  • Nur aus Fehlern lernt man.
  • Das Virus ist nicht politisch, aber die Politisierung des Virus! Medial aufgeheizte Panik müssen wir vermeiden (ganz viele Grüße an die Mainstream Medien!)
  • Die Befähigung zur Selbstkritik brauchen wir. (wer sagt das bitte, wiederholt, unseren Volksvertretern?)
  • Wir müssen erlauben, dass Politiker und Wissenschaftler Selbstkritik äußern dürfen (Ey das tun wir doch! Nur kommt nix diesbezüglich von der Politik).
  • Gefährliche Zahlenspiele und apokalyptische Vorhersagen helfen uns nicht weiter (nochmal liebe Grüße an die Mainstream Medien UND Herrn Drosten).
  • Wir brauchen Besinnung auf gemeinsame Werte und eine soziale generationsverpflichtende und umsorgende Gesellschaft. (GRUß AN ALLE DIE UNSEREN KINDERN EINEN MAULKORB VERPASSEN UND DIE FOLGEN DADURCH IN KAUF NEHMEN)

Herr Professor Dr Streek, vielen Dank!"

 

Jürgen Plich
Grafenwandstr. 8
D-83088 Kiefersfelden

info@juergenplich.de